Viel Gerausch um ein Elektronikspielzeug: Die Flip von Pure Digital ist eine Videokamera mit genau einem relevanten Knopf – Aufnahme an/aus. Alles andere tut sie selbst; sie hat keine beweglichen Teile und stellt alles automatisch ein. Außerdem kostet sie nicht viel. Selbst professionelle Kameraleute attestieren ihr Brauchbarkeit. Ein Hit: In den USA ist sie inzwischen die meist verkaufte Videokamera, hier hat sie bisher nur Begehrlichkeiten geweckt – unter anderem bei mir. Jetzt habe ich eine zum Testen.
Was nicht mehr so ungewöhnlich ist – in Großbritannien gab es die Flip schon länger, jetzt kann man sie auch ganz bürgerlich bei Amazon in Deutschland bestellen, dort fälschlich als das Einsteiger-Modell “Flip Video” gelabelt (anhand der Bestellnummer ist sie als Flip Mino zu erkennen, hat also einen Akku statt eines Batteriefachs). Die Mino ist die teuerste Variante mit Standardauflösung und wird hier für 135 Euro angeboten – und mein Testexemplar ist auch so eine. Also raus damit, das gräuliche Frankfurter Novemberwetter ignoriert und einfach mal draufgehalten:
Sieht doch toll aus. Ätsch – war leider nicht die Flip, sondern der Panasonic-Lumix-Fotoapparat meiner Liebsten – der kann das nämlich auch: 640×480 in einem MP4-ähnlichen Format mit 30 Bildern pro Sekunde und viel Automatik. Und – anders als die Flip – noch mit einem optischen Zoom und einem brauchbaren Objektiv. Insofern muss ich “Techcrunch”-Gott Michael Arrington Recht geben, der den Hype nicht so recht verstanden hat.
Don’t believe the hype – ist das alles, was über die Flip zu sagen ist? Nee, zum Glück nicht. Und das hängt mit dem Ultraeinfach-Charme zusammen, den sie ausstrahlt – wie der EEE auch. Kostet nichts, wiegt nichts, ist idiotensicher – eben dank des einen roten Knopfes. Das Einknopfgerät hat auch sofort das Herz meiner Liebsten gewonnen – was gut ist, weil ein hoher WAF-Wert essentiell ist für den Erfolg von Unterhaltungselektronik. Mich reizt natürlich vor allem der Wert für Spielereien, hier eine kleine Fahrradrunde.
Und die Automatik ist richtig gut, wie ein kleiner Lichttest beweist:
Die Farbänderung resultierte daher, dass ich das Licht eingeschaltet habe – es dauert nicht lange, bis die Kamera auch mit dem deutlich wärmeren Kunstlicht aus Halogenstrahlern klar kommt.
Bei allem Charme: ein paar Sachen haben mich gewundert – und auch geärgert:
- Das merkwürdige Dateiformat: ein Sort-of-Quicktime-Filmchen mit einem bestenfalls H.264-ähnlichen Codec. Technisch produziert sie ein AVI mit einem speziellen MP4-Stream – ein XVID/DIVX in der Auflösung 640×480 (also 4:3) mit 30 Bildern pro Sekunde. Der Bilddatenstrom umfasst max. 4Mb/s. Mein Linux-Allesfresser-Schnittprogramm Cinelerra hat da Verdauungsprobleme. (Windows-Software kommt weitgehend klar damit, und zum Rohschnitt reicht Avidemux.)
- Die Audiospur ist ein PCM-Format (also linear/unkomprimiert), 16Bit und 44,1 kHz, wie auf einer CD. (Irritierenderweise enthält das Audio zwar nur eine Spur, aber genug Daten für Stereo – lässt sich da vielleicht was aufbohren?
- Die 30 Bilder pro Sekunde: die stammen vom amerikanischen NTSC-Fernsehformat, das (rund) 60 Halbbilder pro Sekunde überträgt – anders als unser PAL-Fernsehen, das mit 50Hz-Frequenz arbeitet. Will man richtiges Video oder gar Fernsehen machen, muss man auf 25 Bilder pro Sekunde umrechnen – was nicht ohne Ruckelei abgeht. Für YouTube okay, für Oma an der Grenze.
- Der digitale Zweifach-Zoom ist unbrauchbar – das Bild wird eben nicht besser dadurch. Fixfokus, eine Brennweite – ein Hightech-Erbe der Einwegkameras aus den 90ern.
Über die Grenzen des Einfachst-Geräts muss man sich eben im Klaren sein. Und eins nicht vergessen, wenn man die Lobeshymne des eingangs erwähnten Kamera-Profis Kirk Mastin goutiert: das ist kein Loblied auf die Flip – das ist ein Loblied auf intelligente, verständig eingesetzte Kameraarbeit.
Zur Flip gibt’s noch ein oder zwei Dinge zu sagen, deswegen:
- Morgen Teil 2: Füg dich, Flip: Formaterialschlacht unter Linux und Windows
- Übermorgen Teil 3: Hacking the Flip for fun and profit
Verwandte Artikel:
- Füg dich, Flip! Die Formaterialschlacht (Monday, 24. November 2008; Schlagworte: Avidemux, Camcorder, Cinelerra, Codec, Flip, Linux)
- Mashup: DV- und AVCHD-Videos unter Linux (Sunday, 15. May 2011; Schlagworte: Flip, HD, iMovie, Kdenlive, Steadiflip, Videoschnitt, Webmontag)
- Hacking the Flip for fun and profit (Tuesday, 25. November 2008; Schlagworte: Camcorder, Flip, Hacking, Steadicam, Wechselobjektive)
Pingback: Hacking the Flip for fun and profit | untergeek
Pingback: Mashup: DV- und AVCHD-Videos unter Linux | untergeek